Nature-Nurture-Skala als Coaching-Tool

Hast Du Dich schon einmal gefragt, welche Deiner Talente und Fähigkeiten Dir helfen können, ein Problem zu lösen, und welche Kompetenzen Du vielleicht noch entwickeln musst? Im Coaching geht es häufig genau darum: Klarheit darüber zu gewinnen, was Du bereits mitbringst und wo Entwicklungspotenziale liegen. Die Nature-Nurture-Skala bietet genau diese Orientierung. Sie hilft dabei, die eigenen Ressourcen besser zu verstehen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie angeborene Stärken und erlernbare Fähigkeiten miteinander wirken können.

Die Skala basiert auf der bekannten Nature-Nurture-Debatte, die sich mit der Frage beschäftigt, ob unser Verhalten und unsere Fähigkeiten stärker durch genetische Veranlagungen (Nature) oder durch Umweltfaktoren und Erfahrungen (Nurture) geprägt werden. (1) In diesem Artikel zeige ich Dir, wie die Nature-Nurture-Skala im Coaching funktioniert, warum sie so wirkungsvoll ist und wie Du sie einsetzen kannst, um Deine eigenen Stärken und Entwicklungsmöglichkeiten klarer zu sehen.

Was ist die Nature-Nurture-Debatte?

Waage, welche die beiden Seiten "Nature" und "Nurture" ausbalanciert

Die Frage nach dem Zusammenspiel von Nature und Nurture ist so alt wie die Psychologie selbst. Schon früh fragten sich Wissenschaftler, ob wir in erster Linie durch unsere genetische Ausstattung bestimmt sind oder ob äußere Einflüsse – wie Erziehung, Bildung und Erfahrungen – die zentrale Rolle spielen. Heute wissen wir, dass es nicht um ein „Entweder-oder“ geht, sondern darum, „wie“ diese beiden Aspekte zusammenwirken.

Nature: Unsere angeborenen Eigenschaften

Nature beschreibt all das, was uns von Geburt an mitgegeben wurde. Dazu gehören genetische Faktoren, natürliche Talente, unsere Persönlichkeit und grundlegende Fähigkeiten. Studien zeigen, dass Veranlagungen oft eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Potenzialen spielen. Zum Beispiel sind Intelligenz, Kreativität oder bestimmte motorische Fähigkeiten häufig eng mit unserer genetischen Ausstattung verbunden. Dennoch sind diese Potenziale nur der Anfang – sie müssen erkannt und gefördert werden, um tatsächlich zur Entfaltung zu kommen. (2)

Nurture: Die Macht der äußeren Einflüsse

Nurture umfasst alles, was wir im Laufe unseres Lebens erlernen und erfahren. Dazu zählen unsere Erziehung, Bildung, soziale Beziehungen, berufliche Herausforderungen und kulturelle Einflüsse. Viele Studien belegen, dass gezielte Förderung und ein unterstützendes Umfeld eine zentrale Rolle dabei spielen, wie gut wir unsere Potenziale ausschöpfen können. Selbst wenn unsere genetische Veranlagung uns eine Richtung vorgibt, können äußere Einflüsse unser Wachstum enorm fördern oder hemmen. (3)

Nature und Nurture: Kein Gegeneinander, sondern ein Zusammenspiel

Die spannendste Erkenntnis der Forschung ist, dass Nature und Nurture nicht unabhängig voneinander wirken, sondern sich gegenseitig verstärken können. Eine Person mit einer natürlichen Begabung für Kommunikation wird durch gezielte Schulung und Übung in der Lage sein, ihre Fähigkeiten auf ein ganz neues Niveau zu heben. Genau dieses Zusammenspiel macht die Nature-Nurture-Debatte für das Coaching so wertvoll: Sie bietet eine Möglichkeit, Ressourcen bewusst wahrzunehmen und gezielt weiterzuentwickeln.

Die Nature-Nurture-Skala als Tool im Coaching

Die Nature-Nurture-Skala stellt ein Verhältnis zwischen Nature und Nurture dar, welches durch einen Marker eingezeichnet wird

Die Nature-Nurture-Skala ist eine praktische Weiterentwicklung dieser theoretischen Grundlagen. Sie übersetzt das Zusammenspiel von Nature und Nurture in ein visuelles und interaktives Format, das Coachees dabei unterstützt, ihre Stärken und Entwicklungspotenziale zu reflektieren.

Wie funktioniert die Nature-Nurture-Skala?

  1. Selbsteinschätzung:
    Zunächst bitten wir den Coachee, sich selbst einzuschätzen. Die zentrale Frage lautet: Wie viel Anteil meiner Natur (also meiner angeborenen Stärken und Talente) und wie viel Anteil meiner Entwicklung (das, was ich durch Lernen und Üben noch fördern kann) können dazu beitragen, mein Anliegen zu lösen?

  2. Visualisierung:
    Der Coachee markiert seine Einschätzung auf einer Skala. Dieser einfache Schritt macht das Zusammenspiel von Veranlagung und Entwicklung greifbar.

  3. Ressourcensammlung:
    Gemeinsam werden konkrete Ressourcen auf beiden Seiten der Skala identifiziert. Auf der „Nature“-Seite sammeln wir alles, was der Coachee bereits mitbringt: Talente, Erfahrungen, persönliche Stärken. Auf der „Nurture“-Seite werden Entwicklungsmöglichkeiten und neue Fähigkeiten festgehalten, die der Coachee erlernen oder stärken möchte.

  4. Verbindung der Ressourcen:
    In diesem Schritt schauen wir, wie die Ressourcen auf der Nature-Seite genutzt werden können, um die Entwicklungsfelder auf der Nurture-Seite zu fördern. Zum Beispiel könnte eine natürliche Begabung für analytisches Denken genutzt werden, um sich schneller in ein neues Thema einzuarbeiten. Diese Verbindung von bestehenden Stärken und potenziellen Lernfeldern hilft dem Coachee, seine Entwicklung ganzheitlich zu betrachten.

  5. Reflexion und Planung:
    Abschließend reflektiert der Coachee seine Ergebnisse und entwickelt konkrete nächste Schritte. Dieser Prozess hilft nicht nur, eine klare Orientierung zu gewinnen, sondern stärkt auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und den Willen zur Weiterentwicklung.

Warum ist die Visualisierung so wichtig?

Die Skala bietet eine einfache, aber wirkungsvolle Möglichkeit, abstrakte Konzepte greifbar zu machen. Coachees sehen auf einen Blick, welche Ressourcen sie bereits mitbringen, wie diese miteinander verbunden sind und wo sie ansetzen können, um ihre Ziele zu erreichen. Dieser Ansatz ist nicht nur motivierend, sondern schafft auch eine Grundlage für die gemeinsame Arbeit im Coaching.

Anwendungsbeispiele aus der Praxis

Die Nature-Nurture-Skala kann in vielen Coaching-Situationen eingesetzt werden. Hier sind drei praxisnahe Beispiele:

Coaching zwischen einer Frau und einem Mann mit der Nature-Nurture-Skala

1. Karrierecoaching: Stärken gezielt einsetzen

Eine Führungskraft möchte ihre Kommunikationsfähigkeiten verbessern, um Meetings effektiver zu leiten. Mit der Skala identifiziert sie, dass sie bereits natürliche Stärken wie Empathie und gutes Zuhören mitbringt (Nature). Gleichzeitig zeigt die „Nurture“-Seite, dass sie ihre Fähigkeiten im Bereich Präsentationstechniken weiterentwickeln könnte. Durch die Verknüpfung der Ressourcen entsteht ein klarer Plan: Ihre Empathie kann genutzt werden, um Präsentationen gezielt auf die Bedürfnisse ihres Publikums abzustimmen.

2. Teamcoaching: Gemeinsam Potenziale entfalten

Ein Team arbeitet an einem neuen Projekt und steht vor der Herausforderung, Rollen und Verantwortlichkeiten klar zu definieren. Mit der Skala können die Teammitglieder ihre individuellen Stärken (Nature) und Lernfelder (Nurture) sichtbar machen. Die anschließende Verknüpfung zeigt, wie einzelne Teammitglieder ihre Stärken einbringen können, um das Team als Ganzes voranzubringen. Das Ergebnis: eine bessere Zusammenarbeit und ein klarer Fahrplan für das Projekt.

3. Persönlichkeitsentwicklung: Selbstbewusstsein stärken

Ein Coachee möchte selbstbewusster auftreten und sich in beruflichen Gesprächen besser durchsetzen. Die Skala zeigt, dass er bereits über Fachwissen und analytisches Denken (Nature) verfügt, aber an seiner Rhetorik und Körpersprache (Nurture) arbeiten möchte. Indem er erkennt, dass seine fachliche Expertise ihm Sicherheit gibt, kann er sich gezielt auf die Weiterentwicklung seiner kommunikativen Fähigkeiten konzentrieren.

Wissenschaftliche Perspektiven: Warum die Kombination von Nature und Nurture so kraftvoll ist

Die Nature-Nurture-Skala verbindet wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über Persönlichkeitsentwicklung mit praktischen Coaching-Ansätzen. Drei zentrale Perspektiven machen diese Methode so effektiv:

Ein Mann und eine Frau haben ein Coaching mit der Nature-Nurture-Skala

Nature und Nurture als gleichwertige Faktoren

Forschung zeigt, dass sowohl genetische Veranlagungen als auch Umweltfaktoren entscheidend für die Entwicklung von Fähigkeiten sind. Studien von Ericsson und Pool (2016) belegen, dass selbst außergewöhnliche Talente wie musikalisches Können oder sportliche Höchstleistungen immer eine Kombination aus angeborenem Potenzial und gezieltem Training erfordern. Durch die Skala wird dieses Zusammenspiel greifbar und nutzbar gemacht. (4)

Selbstreflexion als Grundlage für Entwicklung

Selbstreflexion ist ein zentraler Bestandteil der Skala. Laut einer Studie von Grant (2003) trägt Reflexion dazu bei, die eigene Leistungsfähigkeit zu verbessern und Entwicklungsprozesse nachhaltiger zu gestalten. Die Nature-Nurture-Skala schafft eine strukturierte Grundlage für diese Reflexion, indem sie Coachees dazu anregt, über ihre vorhandenen Stärken und Lernfelder nachzudenken. (5)

Verknüpfung von Ressourcen und Entwicklungszielen

Ein entscheidender Vorteil der Skala ist die Verknüpfung von bestehenden Ressourcen mit zukünftigen Zielen. Studien zeigen, dass Menschen erfolgreicher sind, wenn sie ihre vorhandenen Stärken nutzen, um neue Kompetenzen zu entwickeln. Diese Strategie erhöht nicht nur die Motivation, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Ziele erreicht werden. Durch die Skala wird diese Verbindung systematisch sichtbar gemacht und gezielt gefördert. (6)

Fazit: Ein Tool für nachhaltige Entwicklung

Die Nature-Nurture-Skala ist weit mehr als ein Coaching-Tool – sie ist eine Brücke zwischen Theorie und Praxis. Sie hilft Coachees, ihre Stärken zu erkennen, gezielte Entwicklungsfelder zu definieren und einen klaren Fahrplan für ihre persönliche oder berufliche Weiterentwicklung zu erstellen.

Die Kombination aus Reflexion, Ressourcenverknüpfung und Zielorientierung macht dieses Tool so wirkungsvoll. Egal, ob Du es für Dich selbst, in der Arbeit mit Teams oder für individuelle Coachings nutzt – die Nature-Nurture-Skala bietet eine strukturierte und inspirierende Grundlage für Veränderung und Wachstum.

Marco Schmitt - Systemischer Coach für Potenzialentfaltung

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Lass uns gemeinsam die Stärken und Entwicklungsmöglichkeiten erkunden, die in Dir stecken.

Quellen

(1) Montag & Hahn (2018). Nature-Nurture Debate. Springer. Online Link

(2) Plomin & Deary (2014). Genetics and intelligence differences: Five special findings. Molecular Psychiatry. Online Link

(3) Shonkoff & Phillips (2000). From neurons to neighborhoods. National Academies. Online Link

(4) Ericsson & Pool (2016). Peak: Secrets from the New Science of Expertise. Online Link

(5) Grant (2003). The impact of life coaching on goal attainment, metacognition and mental health. Social Behavior and Personality: An International Journal. Online Link

(6) Hodges & Clifton (2004). Strengths-Based Development in Practice. Positive psychology in practice. Online Link

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